Auch der Tod fliegt Lufthansa

Ein verzweifelter Konzern transportiert Menschen unter riskanten Umständen – trotz besserem Wissen und üppigen Ressourcen. In der Öffentlichkeit will das Unternehmen damit auch noch Bonuspunkte sammeln.

„We bring you back home safely“ heißt es auf den Social Media Kanälen der Lufthansa, die das Unternehmen seit März 2020 überall verbreitet. Flankiert werden dieses und ähnlich lobhudelnde Statements von bunten Bildchen, die das Image der Airline als Heilbringer wegen der Corona-Rückholaufträge des Auswärtigen Amtes weiter heben sollen.


„Der Tod fliegt mit“ dachte Michaela Vogler, der vom Auswärtigen Amt ein Sitz auf einen der Heimholflüge aus dem neuseeländischen Auckland zugewiesen wurde. „An Bord war es zunächst wie ein Schock für mich, dass ich nun um die 18 Stunden auf diesem bis zum letzten Platz vollgestopften Lufthansa-A 380 transportiert werden soll.“ Denn während überall auf der Erde Menschen eingebläut bekommen, dass sie sich bloß nirgends im Alltag zu nahe kommen dürfen, und vielerorts Menschen sogar extrem hohe Geld- und Gefängnisstrafen bei zuviel Nähe drohen, sitzen die Heimkehrer in den Flugzeugen der Airlinegruppe auf engstem Raum über Stunden zusammengepfercht nebeneinander.

Keine Distanz zum Sitznachbarn

Statt einem bis zwei Metern Abstand sind es in den meisten Fällen nicht wenigstens 50, 40 oder zehn Zentimeter. Vielmehr finden Berührungen an der Sitzlehne in der engen Bestuhlung der Economy-Klasse oft über Stunden pausenlos statt. Ausweichmöglichkeiten gibt es keine.

Nicht nur eine Handvoll Passagierte sind betroffen. Rund 90.000 Menschen mussten bislang schon auf Flügen aus Neuseeland, Asien, Afrika oder Lateinamerika hoffen, dass auch entferntere Sitznachbarn während der teils stundenlangen Reise nicht niesen oder mit offenem Mund lachen und dabei eine eventuelle Infektion übertragen.

Luftströme in der Flugzeugkabine in der Kritik

Glaubt man auch nur annähernd den Simulationen des Nachrichtensenders CNN auf Youtube zur infektiösen Verbreitung von Masern, die in den USA 2014 nach Forschungsergebnissen der renomierten Uni „MIT“ präsentiert wurden, sind Mitreisende im Flieger bei jedem einzelnen Niesen eines Passagiers in der Kabine einem 90prozentigen Ansteckungsrisiko ausgesetzt. Bei Coronaviren dürfte das Risiko zumindest ähnlich sein, vielleicht sogar höher.

Auch frühere Animationen wie die des amerikanischen Technologieunternehmens Ansys zeigen, dass mindestens zwei Sitzreihen über die gesamte Breite der Kabine und somit leicht bis zu 20 Mitreisende beim Niesen eingenebelt werden.

Die offenbar ins Blaue hinein und unbelegte Lufthansa-Beteuerung, dass die Kabinenluft in ihren Flugzeugen „besser als in einem Operationssaal“ sei, klingt vor diesem Hintergrund verhöhnend.

Von den seit Jahren diskutierten Problemen mit den sogenannten „Fume Events“ einmal ganz abgesehen. Durch Fume Events, also vergiftete Kabinenluft aufgrund der mangelhaften Konstruktion der Frischluftzufuhren, mussten bereits Piloten kurz nach der Landung auf der Notarztbahre aus dem Cockpit getragen werden. Dokumentiert wurden weltweit zahlreiche Fälle von Luftverschmutzung durch Gase an Bord. Und das seit Jahrzehnten und in letzter Zeit immer häufiger. Teilweise behielt das betroffene Flugpersonal körperliche oder geistige Behinderungen nach solchen Zwischenfällen und war dauerhaft arbeitsunfähig und schwerbehindert. Aus Operationssäalen ist derartiges bisher nicht bekannt.

Was das Corona-Risiko betrifft hat bereits die spanische Regierung kurz vor Pandemieausbruch ab etwa Mitte März 2020 eine Verordnung mit Abstandsregeln erlassen, die auch für Flugzeuge gelten. Darüber berichtete auch das das spanische Fliegerportal Flynews.es. Danach soll nur jede zweite Sitzreihe besetzt werden und zudem zwischen den Passagieren regelmäßig zwei, jedoch mindestens ein Sitz auf Passagierflügen in Spanien freibleiben. Airlines dürfen also wegen des Infektionsrisikos nicht alle Sitze auf Innerspanischen Flügen verkaufen.

Ideale Voraussetzungen für die Verbreitung von Viren: trockene Kabinenluft

Ungeklärt ist darüber hinaus auch die Haltbarkeit der Corona-Viren in der besonders trockenen Luft an Bord von Flugzeugen. Die Luftfeuchtigkeit in der Kabine beträgt üblicherweise nur um die 20 Prozent. Normale Umgebungsluft hingegen hat eine Luftfeuchtigkeit von mindestens 60 bis 70 Prozent.

Bekannt und wissenschaftlich belegt ist, dass Viren sich in trockener Luft länger halten. Wissenschaft.de schreibt dazu: „Die Forscher empfehlen daher, in kritischen Bereichen wie Krankenzimmern oder Notaufnahmen die Luftfeuchtigkeit möglichst hoch zu halten, um die Ausbreitung von Influenzaerregern zu hemmen.“

Zwar liegen dem Robert-Koch-Institut zur Haltbarkeit von Corona-Viren auch Mitte April offenbar noch keine Fakten dazu vor. In der Antwort auf eine Anfrage der Redaktion des Touristik-Newsportals touristikpresse.net teilten Deutschlands oberste Gesundheitsberater nur lapidar mit: „Dazu sind uns keine Daten bekannt.“ Überraschend, wenn man bedenkt, dass seit Monaten das Virus und seine Übertragungswege weltweit erforscht werden.

Sollte sich herausstellen, dass sich das Corona-Virus wie andere Viren auch bei geringer Luftfeuchtigkeit besser von Mensch zu Mensch überträgt, dürfte das für den weltweiten Luftverkehr und besonders die Flugzeugbauer wie Airbus oder Boeing eine Hiobsbotschaft sein. Ein völlig neues Konzept für die Frischluftversorgung oder Sitzanordnung an Bord wäre nahezu der einzige Ausweg um die Verbreitung von Corona und zugleich auch anderen zukünftigen potentiellen Viren zu vermeiden.

Zynischer Ansatz oder echte Fürsorge?
Dass das Lufthansa-Konzern-Management über das Ansteckungsrisiko von Viren grundsätzlich Bescheid weiß, liegt wohl auf der Hand. Dennoch die Rückholflüge bis zum letzten Platz zu füllen wirkt daher ignorant oder gar zynisch zumindest aber riskant. Wie ist das leichtfertige Vorgehen des historisch welterfahrenen und krisenerprobten Lufthansa-Konzerns bei den Rückholflügen zu bewerten?

Ein Problembewußtsein jedenfalls ist vorhanden: Wer werbewirksam komuniziert, dass auf Flügen, die aus Deutschland ins Ausland gehen sowie auf innerdeutschen Flügen eine Mindestdistanz von einem freien Mittelsitz zusagt wird, jedoch einfliegenden Passagieren aus dem Ausland diese Vorsorgemaßnahme verweigert, unterschätzt das logische Denkvermögen und die Intelligenz seiner Kunden. Denn natürlich ist das Ansteckungsrisiko nicht abhängig von der Flugrichtung.

Und das Unternehmen gibt damit zugleich zu, zu wissen was weniger riskant und gesünder ist. Offenbar hat hier das eigene Gewinnstreben über das Wohl der zahlenden Gäste gesiegt.

Ein ethisch einwandfreies und fürsorgliches Vorgehen der Lufthansa-Oberen wäre es gewesen, jede Form von Schutzmaßnahme umgehend umzusetzen. Das könnte und müsste dann vielleicht auch bedeuten, Corona-Tests vor dem Abflug zu verlangen oder eben nur einen kleinen Teil der Sitze in einem Flugzeug anzubieten und auf weitere Einnahmen auf diesem Flug zu verzichten.

Stattdessen wird ein – wenngleich absurder – Rechtfertigungsversuch über die Medien direkt mitgeliefert: „Die Menschen wollen nach Hause. Wir können sie doch nicht stehen lassen“, so der Tenor aus dem Unternehmen.

Diese Argumentation in Kombination mit schönen Instabildchen mag seichte Gemüter beschwichtigen, überzeugend ist sie nicht.

Mehr Platz bietet mehr Sicherheit vor Ansteckung

Es wäre überhaupt kein Problem ganz einfach doppelt, drei- oder gar zehnmal soviele Flugzeuge für die Heimatflüge in die Welt zu schicken und dabei stets einen deutlichen Abstand durch freie Sitzreihen und Sitze zu garantieren. Nur mit einem solchen Signal ließe sich glaubhaft zeigen, dass bei dieser Airline ein fürsorglich-humanitäres Denken mitfliegt, das die Werbebotschaft „We bring you back home safely“ rechtfertigt. Mic haela Vogler und die 90.000 Passagiere der gecharterten Heimatflüge jedenfalls könnten dann deutlich beruhigter sein.

Es dürfte die Gier der Verzweiflung sein, die das Management unter dem umtriebigen Konzernboss Carsten Spohr von einer solchen Maßnahme abhält und vielleicht sogar dem Verdacht der fahrlässigen Körperverletzung aussetzt könnte. Da das Virus allerdings nach heutigem Wissen eine Inkubationszeit von bis zu 14 Tagen hat, ließe sich ein eindeutiger Beweis einer Infektion an Bord eines Flugzeugs nur äußerst schwer belegen. Nicht einmal zertifizierte Tests unmittelbar vor dem Flug und erneut vor der Landung dürften wohl mit Sicherheit eine relevante Infektion nachweisen können. Denn die Vermehrung von Viren im Körper braucht auch Zeit. Das wissen auch die Airlinechefs weltweit. Das bedeutet aber mitnichten, dass Kabinenluft risikofrei oder gar gesund ist und eine vollbesetzte Kabine kein Risiko ist.

Mehr Einsätze für lau – Steuerzahler zahlen Bodenzeiten und Personal

Viel teurer wäre es dennoch wohl nicht, zusätzliche Flüge hinauszuschicken, also beispielsweise statt einem vollbesetzten Flug mehrere Flieger einzusetzen. Denn Flugzeuge hat die Airline genug herumstehen. Von etwa 770 Maschinen stehen um die 700 irgendwo auf Landebahnen in Europa aufgereiht herum und verursachen Standkosten. Denn für die Bodenzeiten stellen Flughäfen rund um die Uhr und den Globus Gebühren in Rechnung. Auch das zählt zu den Verlusten von Lufthansa und Co. , die der Steuerzahler subventioniert.

Das aktuell ruhende Personal, vom Flugbegleiter über Piloten, Bodenabfertiger oder der Flugsicherung wird ebenfalls trotz Krise weiterhin vergütet. Die meisten dieser Angestellten sind während der Krise faktisch nicht in anderen Bereichen einsetzbar.

Allein etwa 24.000 Lufthansa-Flugbegleiterinnen und -begeiter können auf absehbare Zeit nicht servieren, werden aber durch Kurzarbeit von Staat und Steuerzahler ernährt. Das Unternehmen stockt auf und muss dadurch nochmehr Verluste melden. Dabei stehen die Leute bereit und viele von ihnen würden sogar gerne bei Rückholflügen dabei sein, anstatt über Monate zu Hause zu sitzen.

Die wenigen Flugbegleiter, die in vollen Maschinen bei den Rückholungen dabei sind, könnten so auch einem geringeren Risiko ausgesetzt werden. Denn auch sie atmen die riskante Kabinenluft in der ein scheinbar kleines Niesen ganze Sitzreihen infitieren könnte.

Auch das wäre ein Zeichen von echter Fürsorge des Lufthansa-Managements und kein faktisches Verheizrisiko für Personal. Denn zweifellos bieten mehr Menschen auf engem Raum immer ein höheres Ansteckungsrisiko durch das Virus als weniger Menschen in der Kabine. Offenbar handelt jeder Supermarkt in Deutschland rücksichtsvoller als Deutschlands Vorzeigeflieger.

Flugtreibstoff gratis nutzen

Mehr Flüge kosten auch mehr Treibstoff – könnte man meinen. Aber nein, in der aktuellen Situation entstehen dafür faktisch keine Kosten. Denn das Kerosin gibt es momentan quasi zum Nulltarif. Jedenfalls für die Lufthansa.

Grund dafür ist das übliche „Hedging“, also Termingeschäfte auf die Abnahme von bestimmten Mengen Kerosin zu einem festen Abnahme-Datum. Der Preis für den Flugtreibstoff wird dabei mit den Mineralölfirmen für ganz konkrete Termine im Voraus ausgehandelt. Zu normalen Zeiten kann die Airline so ihre Kosten unabhängig von eventuellen Preisschwankungen genau vorausplanen und für große Mengen günstige Preise aushandeln. Natürlich gibt es für Großabnehmer wie die Lufthansa-Gruppe ohnehin schon besondere Rabatte. Und selbst der momentane Preis für Kerosin ist im Keller.

Die Rechnung aus den Hedging-Verträgen müssen natürlich vertragskonform bezahlt werden. Egal, ob das Kerosin genutzt wird oder eben nicht. Da fast die ganze Flotte stilliegt, ist diese Investition verloren. So dürften auch die „eine Million Euro pro Stunde“ gemeint sein, die vom Vorstandsvorsitzenden Carsten Spohr bildstark für die Verhandlungen über eine staatliche Unterstützung immer wieder genannt werden.

Der Steuerzahler soll es richten, aber der bezahlte Treibstoff verpufft lieber, als dass das Unternehmen ihn für mehr und damit gesündere Rückholflüge des Auswärtigen Amtes einsetzt.

Erheblich mehr Rückholflüge wären demnach seit Beginn der Krise praktisch nahezu für lau zu haben. Das Gebot der Stunde also, um eine wirklich humanitäre Gesinnung zu zeigen. Sogar die für diese kurze Zeitdauer notwendigen Wartungskontrollen könnten günstiger sein, als die späteren Reparaturen durch Klimaeinwirkungen der stehenden Flugzeuge am Boden. 

Zu welchen Kosten das Auswärtige Amt die Flugzeuge chartert, darüber gibt die Behörde keine Auskunft. Vermutet werden kann aber wohl, dass die Lufthansa ordentlich hinlangt, wo eine deutsche Behörde in eiligem Zugzwang ist und Tausende Menschen nach Hause bringen will.

Auch der Konzern spricht hier natürlich nicht über Geld. Dort wo er während der Krise seit März über den freien Markt aber noch Flüge anbietet, die von Deutschen im Ausland seit Ausbruch der Pandemie zur Heimreise benötigt wurden, sind diese teils massiv gestiegen.

So waren Eurowings-Flüge für die Strecke Palma-Düsseldorf teilweise um mehr als das zehnfache teurer als vor der Krise.

Verständlich ist auch nicht das Vorgehen der Behörden.

Busreisen, auf denen die Sitzabstände vergleichbar mit denen von Flugzeugsitzen sind, dürfen zur Zeit nicht stattfinden. Bis mindestens Ende April gibt es ähnlich wie für Restaurants oder Kneipen noch nicht einmal eine Öffnungsperspektive. Allerdings drohen hier auch nicht herzzereissende Bilder mit verzweifelten Familien auf irgendwelchen Airports in der ganzen Welt, wie man sie beim Ausbruch des isländischen Vulkans Eyjafjallajökull 2010 sehen konnte. Solche Bilder mag die Politik nicht. Dann also lieber Heimholung in riskanter Kabinenluft.

Und die Lufthansa macht einfach mal mit. Vielleicht auch deshalb, weil man weiß, dass nach der Krise keine schnelle Lösung des Problems in Sicht ist, wählt man hier offenbar mit gezielten Imagemaßnahmen die Flucht nach vorn. Denn auch wenn die Supermärkte und Läden wieder zu normalen Abläufen zurückkehren, bleibt das besondere Risiko durch millionenfache Tröpchenübertragung in der Flugzeugkabine weiter bestehen. Und im unsicheren Zeitrahmen zwischen Exit und Impfstoff nur ein Drittel der Sitze pro Flug zu verkaufen, will und kann sich keine Airline leisten. Da ist es besser abzuwarten, was die Menschen überhaupt wahrnehmen und die Gefahr von Reisen in ausgebuchten Flügen überhaupt realisieren. Und zugleich ließ sich mit Marketing-Rundflügen über dem fernen Auckland ein bisschen Appetit auf Lufthansa-Flüge mit dem A 380 machen.

Mit den Rückholflügen in der Coronakrise sind wissentlich viele tausende Menschen einem hohem Risiko ausgesetzt worden. Sich dennoch als Gutmensch-Airline darzustellen, obwohl die Gefahren ganz genau bekannt waren, müssen viele Passagiere als beängstigend und zynisch empfunden haben. „We bring you back home safely“ scheint jedenfalls fehl am Platz zu sein.

Unverbrauchter aber bezahlter Treibstoff. Flugbegleiter, Piloten und Bodenpersonal, die sich auf Steuerzahlerkosten langweilen. Und herumstehende Flugzeuge, die Standgebühren verursachen. Der Einsatz dieser Ressourcen wäre echtes Engagement für die Gesundheit von gestrandeten Menschen: „There could be a better way to fly“ . (ari)

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